Steuerfreie Agio-Ausschüttung

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Steuerfreie Agio-Ausschüttung

Lange Zeit unbemerkt, aber nun in aller Leute Munde: Seit dem 01.01.2011 können Unternehmen Agio-Beträge steuerfrei als Dividende ausschütten. Vom Volk im Jahr 2008 (vermutlich aufgrund fehlender Deklaration des seinerzeitigen Finanzministers Merz) im Rahmen einer Unternehmenssteuerrefom unbesehen, wenn auch knapp, durchgewunken, haben viele Publikumsgesellschaften die steuerfreie Ausschüttung von Dividenden aus Agio-Reserven angekündigt. Bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung sind bereits 200 Milliarden Franken solcher möglicher Ausschüttungsbeträge gemeldet worden. Die Steuerausfälle für Bund und Kantone bei der Verrechnungssteuer und den direkten Steuern werden, kumuliert für die nächsten 10 Jahre, auf rund 7 Milliarden Franken beziffert. Kritisiert wird nun vor allem, dass in der Vorlage von 2008 unbemerkt auch eine Rückwirkungsklausel enthalten war, so dass alle seit 1997 aufgelaufenen Agio-Reserven steuerneutral ausgeschüttet werden können.

Was sind Agio-Reserven aus accountingtechnischer Sicht?

Im Rahmen einer Kapitalerhöhung setzen Aktiengesellschaften den zu liberierenden, d.h. einzuzahlenden, Betrag regelmässig höher als den Nominalwert der Aktien an. Die Differenz zwischen den beiden Werten wird auch als Aufgeld/Agio bezeichnet. Nach geltendem Aktienrecht muss ein solcher Betrag passivseitig den gesetzlichen Reserven zugewiesen werden, womit sich letztendlich das Ausschüttungspotential des Unternehmens steigern lässt, da dadurch die Pflicht zur Bildung von Reserven aus erwirtschafteten Gewinnen gemildert werden kann. Dies geschieht durch die Aufhebung der Pflicht einer ersten Reservezuweisung, sobald die gesetzliche Reserve 20% des Aktienkapitals übersteigt. Neu können, wie eingangs erwähnt, solche Agio-Beträge, nach Voranmeldung bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung, steuerfrei ausgeschüttet werden.

Welche weiteren Reservearten gibt es?

Im Wesentlichen werden im geltenden Recht drei weitere offene Reservearten unterschieden:

Erstens können Unternehmen nebst den gesetzlichen Reserven statutarische Reserven bilden. Sofern deren Verwendungszweck nicht geregelt ist, werden sie auch als freie Reserven gekennzeichnet.

Zweitens sieht das Gesetz vor, im Rahmen von Bilanzsanierungen stille Reserven auf Grundstücken und Beteiligungen bilanzwirksam auflösen zu können. Die so gebildeten Aufwertungsreserven können entweder in Aktienkapital gewandelt oder, bei Veräusserung der Aktiven, in gesetzliche Reserven umgewandelt werden. Ebenso möglich ist deren Auflösung bei nachfolgender Abschreibung der Aktiven.

Drittens müssen beim Rückkauf eigener Aktien Reserven gebildet werden. Deren Handhabung stellt in der Realität einige technische Probleme, v.a. bei einer Vielzahl von Aktienrückkäufen resp. einer Auf- und Abwertung von aktivseitig bilanzierten Eigenen Aktien.

Ist eine „Reserve“ wirklich eine solche?

Im Alltag verwenden wir den Begriff der „Reserve“ eher für den Notgroschen, d.h. für flüssige Mittel, die wir nicht dringend brauchen. Bilanztechnisch hingegen ist dem nicht so - Reserven entsprechen eher „Rücklagen“, die keinen direkten Konnex zur Liquidität haben müssen, insbesondere gibt es in der Regel keinen aktivseitig ausgeschiedenen Betrag, der ihnen gegenüberzustellen ist. Damit zeigt es sich, dass solche Positionen auch sehr stark von Bewertungsgrundsätzen abhängen können.

Zum Schluss hier noch ein abschliessender Hinweis

Die hier diskutierten Begriffe entsprechen jahrelanger Schweizer Praxis. Nach nun bald vierjähriger Beratung – der Ständerat brütete am 16. März 2011 wieder einmal darüber – neigt sich die Diskussionsphase des neuen Rechnungslegungsrechts einem Ende entgegen. In der vom Bundesrat Ende 2007 aufgelegten Vorlage ist eine wohltuende Vereinfachung vorgesehen worden – die Gesellschaften können sich im Wesentlichen darauf beschränken, Gewinnreserven (nicht ausgeschüttete Gewinne) sowie Kapitalreserven (Agio-Beträge) auszuweisen. Für einmal bringt ein neues Gesetz also nicht nur eine Steigerung der Komplexität, sondern einen wohltuenden Pragmatismus mit sich.

(27.04.2011)