Sonderschüler von heute sind IV-Rentner von morgen

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Yves Rossier: "Sonderschüler von heute sind IV-Rentner von morgen"

altDer Direktor des Bundesamt für Sozialversicherungen, Yves Rossier, macht sich für die Integration von auffälligen Kindern in Regelklassen stark. Die Integration führe nicht zu schlechten Schulen, sondern sei besser für alle Kinder, sagte er in der "NZZ am Sonntag" vom 23.01.2011.

Mit dem heutigen Schulsystem in der Schweiz geht Rossier hart ins Gericht: "Die Schweiz hat das segregativste Schulsystem Europas", sage er. Jean-Marc Crevoisier, Sprecher des Eidg. Departements des Innern (EDI), bestätigte am Sonntag Rossiers Aussagen. Je nach Kanton bestünden allerdings grosse Unterschiede, hielt Rossier fest. "Geht ein Kind im Tessin in die Regelklasse, gilt das gleiche Kind in Baselland als behindert und wird gesondert geschult." Rossier kritisiert die uneinheitliche Beurteilung des Kinder: Es könne doch niemand behaupten, in Baselland gebe es viermal mehr behinderte Kinder als im Tessin. Gemäss Angaben des Bundesamt für Statistik gehen in Baselland über acht Prozent der Schulkinder in Sonderklassen. Der Kanton Tessin hingegen kennt gar keine Sonderklassen.

"Riecht nach Apartheid"
Besonders schwer haben es gemäss Rossier die ausländischen Kinder: Das Risiko für ausländische Kinder, separiert zu werden, sei überall höher. "Das riecht nicht nur nach Segregation, sondern nach Apartheid", kritisierte er. An Schweizer Schulen werde die Staatszugehörigkeit zur Behinderung. Diese Entwicklung stört Rossier auch, weil die Schulen die Weichen fürs spätere Leben stellten. "Sonderschüler von heute sind IV-Rentner von morgen", sagte er.

Eltern, Schulen und Organisationen sind schuld
Verantwortlich für die Desintegration von behinderten oder auffälligen Kindern macht der Direktor des Bundesamts für Sozialversicherung verschiedene Kräfte: Eltern, die sich für ihr behindertes Kind einen geschützten Rahmen wünschten oder die ihr Kind nicht mit verhaltensauffälligen Kindern in die Schule schicken wollten; Schulen, die sich von störenden Kindern entlasten wollten oder Behinderten-Institutionen, die um ihre Pfründen fürchteten. Einen Lösungsansatz hat Rossier ebenfalls parat: Sonderpädagogen sollten nicht in Heimen, sondern in öffentlichen Schulen arbeiten, fordert er.

(23.01.2011)

Bild: Yves Rossier, Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen